„In Carmen ist ein Wort sehr wichtig: Freiheit“, sagt Regisseurin Lotte de Beer. „Es geht um eine Frau aus der Arbeiterklasse, die frei sein will. Leider steckt sie aber in einer Oper des 19. Jahrhunderts fest.“ Anlass für uns, mit Lotte de Beer und Katia Ledoux über ihre Zugänge zu dieser Oper zu sprechen.
Carmen als unabhängige Frau, die alle Fesseln sprengt – stimmt dieses Bild wirklich?
Lotte de Beer: Ist Carmen tatsächlich die freie, unabhängige Frau, für die wir sie halten, oder ist sie vielmehr die Gefangene des Mythos von der freien, unabhängigen Frau? Sind es nicht gerade die Männer, die ihr diese Unabhängigkeit andichten, damit sich ihre Eroberung umso mehr lohnt? Diese Fragen beschäftigen mich an dieser Figur.
Katia, wie gehst du mit einer Frauenfigur wie Carmen um, die am Ende ermordet wird?
Katia Ledoux: Ein Thema, das heute leider immer noch wahnsinnig relevant ist. Immer noch lese ich von „Liebesdrama“ oder „Familientragödie“, wenn Männer Frauen ermorden, mit denen sie in Beziehungen sind. Diese Taten werden oft gar nicht als Mord, sondern als Totschlag argumentiert, weil der arme Mann ja seelisch so viel durchmachen musste. Diesem Gedanken folgend gibt es heute immer noch Inszenierungen von Carmen, die Mitleid mit Don José haben und Carmen als Hexe oder Teufelsweib erniedrigen. Dabei ist sie nur eine Frau, die das Leben und die Liebe liebt.
Wer sind die Männer für dich, Lotte? Was wollen sie eigentlich von Carmen?
Lotte de Beer: Die Männer handeln aus verschiedenen Motiven heraus: Der erste will eine Nacht mit ihr und glaubt, mehr Anrecht zu haben als sein Untergebener. Der zweite will sie verführen und zähmen – als wollte er sagen: Ich liebe eine freie Frau, die ihre Freiheit für mich aufgibt. Und der dritte will sie retten und aus den Klauen der Eroberer befreien. Aber mit welchem Ziel? … Dass sie sich schlussendlich von keinem der drei ernst genommen fühlt, erstaunt nicht gerade.
Katia, wie geht es dir, wenn du dich Figuren stellst, die im 19. Jahrhundert entworfen wurden und ganz andere Frauen- und Menschenbilder bieten?
Katia Ledoux: Oft muss ich mir diese Frage stellen, aber nicht bei Carmen. Alle Themen, die sie beschäftigen, sind heute noch relevant, vom Rassismus, den sie durch ihre dunklere Haut und Augen erfährt, bis zur Polizeigewalt. Und das alles mit mitreißender Musik und vielen der allergrößten Hits, die jemals komponiert wurden. Carmen ist eine der meistgespielten Opern aller Zeiten und trotzdem finde ich, dass die Reichtümer, die sie in sich trägt, immer noch unterschätzt werden. Ich LIEBE diese Oper!