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Mariame Clément

Wann wurdest Du zum ersten Mal in Deinem Leben durch (Musik)Theater verzaubert? Und wodurch?

Seit ich denken kann, bin ich vom Musiktheater verzaubert. Das erste Mal, als meine Eltern mich in die Oper mitnahmen, war ich vier oder fünf Jahre alt. Es war ein Doppelkonzert: L'Enfant et les sortilèges und Strawinskis Oedipus Rex. Ich habe keinerlei Erinnerung daran, aber anscheinend war ich wider Erwarten von Oedipus Rex völlig fasziniert, viel mehr als von L'Enfant! Danach hat die Magie nie mehr wirklich aufgehört. Ich habe es immer sehr genossen, eine Geschichte durch Worte und Musik erzählt zu bekommen, bis ich merkte, dass ich die Geschichten auch selbst erzählen wollte.

Warum singen die Leute und warum sprechen sie nicht?

Weil sie im wirklichen Leben sprechen, aber nicht singen! Das ist es, was die Oper so magisch macht: Man kann nie in die Falle des Realismus tappen. Wegen des Gesangs hat die Oper von Natur aus etwas Abstraktes, Stilisiertes und Künstliches - und doch ist sie aus genau demselben Grund so ursprünglich, so konkret, so unmittelbar. Für mich als Regisseurin ist es, als hätte ich ein zusätzliches Instrumentarium zur Verfügung: nicht nur die Worte, die die Sängerinnen und Sänger singen, sondern auch die Musik, die sie singen, ist wie eine andere Ebene der Realität, die immer da ist, ganz nah. Das ist ein wunderschönes Gleichnis für menschliche Beziehungen: Die Worte können etwas sagen und die Musik etwas anderes. Nichts hat jemals nur eine eindeutige Bedeutung. Eine Oper zu interpretieren ist wie ein Subtext auf dem Silbertablett.

Welche Rolle kann/sollte Musiktheater in der heutigen Gesellschaft einnehmen?

Musiktheater soll zeigen, dass viele verschiedene Menschen mit sehr unterschiedlichen sozialen und geografischen Hintergründen zusammenarbeiten können. Es soll uns daran erinnern, dass Menschen Schönheit schaffen können und nicht nur Zerstörung. Es soll aber auch Menschen unterhalten und glücklich machen, was eine sehr noble Aufgabe ist. Unterstreichen, dass es in der Kunst um die Realität geht, aber nicht um den Realismus. Entdecken, dass es Queerness schon immer gegeben hat, denn die Oper ist durch und durch queer. Die raffinierteste, komplexeste, seltsamste, vermeintlich elitärste, vermeintlich künstlichste Form der Kultur für alle zugänglich machen, denn die Oper ist viel zugänglicher, als die meisten Menschen denken - und die Menschen sind oft offener, als man ihnen weismachen will. Deutlich machen, dass es in der Kultur um eine ständige Neuinterpretation, Neubewertung und Neudefinition geht. Beweisen, dass Vergnügen und kritisches Denken Hand in Hand gehen können, genau wie Schönheit und Intelligenz. Alte Stücke nehmen, die zumeist von Männern in überwiegend frauenfeindlichen Kontexten konzipiert wurden, und zeigen, dass sie relevant sein können, wenn man sie nur anders liest. Menschen dazu bringen, mehrere Stunden lang in ein und demselben Raum zusammenzusitzen, im wirklichen Leben.


Geboren in

Paris (Frankreich)

Ausbildung

Studium der Literatur und Kunstgeschichte an der École normale supérieure, Ausbildung und Regieassistenz an der Staatsoper Berlin, der Opéra National de Montpellier und der Opéra du Rhin Strasbourg, arbeitete als Dozentin an der Harvard University

Fünf bis zehn wichtige Engagements

The Fairy Queen und Castor et Pollux am Theater an der Wien

Hänsel und Gretel und Cendrillon an der Opéra national de Paris

Don Quichotte bei den Bregenzer Festspielen

Don Pasquale, Il Turco in Italia und Don Giovanni in Glyndebourne

L'Étoile am Royal Opera House, London

Il Ritorno d'Ulisse in patria am Théâtre des Champs-Élysées

Carmen an der Santa Fe Opera

Achille in Sciro am Teatro Real Madrid

Anna Bolena und Maria Stuarda am Grand Théâtre de Genève

Prägende Zusammenarbeit mit folgenden Künstler:innen

Es ist die Summe all der Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, berühmte und weniger berühmte, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin. Julia Hansen, mit der ich fast alle meine Produktionen gemacht habe, aber auch andere Bühnen- und Kostümbildner, mit denen ich zusammengearbeitet habe; Videokünstler, Lichtdesigner, Choreographen, Dirigenten, Sänger, Schauspieler, Tänzer, Pianisten, Instrumentalisten... Und davor die Menschen, denen ich assistiert habe. Ich könnte nicht nur ein paar nennen, und ich kann sie auch nicht alle nennen. Sie alle haben zu meiner Ausbildung beigetragen, und sie tun es immer noch - wenn ich jemals das Gefühl habe, dass ich aufgehört habe zu lernen, werde ich mir einen anderen Job suchen.

Debüt an der Volksoper Wien

Regie Die lustige Witwe (Saison 2023/24)

Bedeutende Preise & Ehrungen

Österreichischer Musiktheaterpreis 2020, Beste Produktion für Don Quichotte

Oper! Awards 2019, Beste Wiederentdeckung für Barkouf

3. Preis beim Europäischen Opernregiepreis, gestiftet von Opera Europa und Camerata Nuova in Wiesbaden, 2003

Website

www.mariameclement.net


* Verwendung der Fotografie (© Elisa Haberer) nur für Zwecke der aktuellen Berichterstattung über die Volksoper Wien