Lisenka Heijboer Castañón
Wann wurdest du zum ersten Mal von Musiktheater verzaubert? Und wodurch?
Ich war (und bin immer noch) besessen von der West Side Story. Als ich etwa 9 Jahre alt war, sah ich eine Highschool-Aufführung des Stücks. Danach sah ich mir den Film von 1961 immer wieder an. Ich denke, es faszinierte mich, weil es sich dabei um eine Einwanderergeschichte handelte – wenn nicht sogar die einzige "Darstellung" einer Einwanderergeschichte, die ich als Kind je gesehen hatte. Es erübrigt sich natürlich zu sagen, dass West Side Story eine sehr schlechte Darstellung ist - aber in dem Moment war es das Einzige, das ich in diesem Bereich kannte. Meine Mutter war aus Peru in die Niederlande eingewandert, wo ich geboren wurde. Es war eine wirklich freudige Erfahrung zu sehen, wie sich einige der Figuren auf ähnliche Weise wie sie ausdrückten, und es eröffnete mir ehrlich gesagt eine ganz neue Art von "wie ich sein könnte".
Warum singen die Leute, und warum sprechen sie nicht?
Die Menschen haben das Bedürfnis, sich auszudrücken, und manchmal ist das Sprechen einfach nicht geeignet, um das auszudrücken, was ausgedrückt werden muss. In Ocean Vuongs Roman On Earth We're Briefly Gorgeous gibt es diese schöne Passage über eine Gemeinschaft, die um einen Verstorbenen in Saigon trauert. Er schreibt: "...Trauer ist im schlimmsten Fall unwirklich. Und sie verlangt nach einer surrealen Antwort." Ich würde sagen, dass das Leben eine surreale Reaktion erfordert. Für mich besteht diese "surreale Antwort" sehr oft im Singen und Tanzen. Ich glaube, dass Singen eine Möglichkeit ist, Dinge anders zu verarbeiten, und jemandem beim Singen zuzuhören, gibt auch Raum für eine andere Art des Empfangens. Es ist ein sehr persönlicher und verletzlicher Akt, der mich immer wieder berührt und mir erlaubt, mich mit einer anderen Person auf eine Weise zu verbinden, die ich nie hätte, wenn sie nur sprechen würde.
Welche Rolle kann/sollte Musiktheater in der heutigen Gesellschaft einnehmen?
Ich denke, sie kann und sollte viele Rollen spielen. Wir sollten nicht dogmatisch festlegen, welche Rolle das Musiktheater spielen soll, so dass sich seine Rolle im Laufe der Zeit oder pro Künstler durch viele verschiedene Rollen verändern kann, je nachdem, was wir brauchen. Das bedeutet, dass die wichtigste Aufgabe der Künstler:innen darin besteht, das zu finden, was wirklich wichtig ist, anstatt das zu finden, was wir brauchen, um andere zu beeindrucken und deren Erwartungen zu erfüllen. Ich habe das Bedürfnis nach einem Gemeinschaftsgefühl, nach Raum und auch nach einem Raum zum Nachdenken. Das ist es, was meinen Prozess und meine Produktionen prägt. Ich habe das starke Bedürfnis, auf die Frage "Warum singen die Menschen?" zurückzukommen und meine Arbeit um die Antworten auf diese Frage herum zu gestalten; wir versuchen alle nur, eine Verbindung herzustellen.
Geboren in
den Niederlanden (Niederländisch-Peruanerin)
Ausbildung
2019-2020 Marcus Institute Opera Directing Fellowship (The Juilliard School)
2018 Opera in Creation (Académie du Festival d’Aix)
2011-2016 Theaterwissenschaften (University of Amsterdam)
2014-2015 Vorbereitungskurs Bildende Kunst (Gerrit Rietveld Art Academie)
2010-2011 Kunstgeschichte (University of Utrecht)
2009-2010 Vorbereitungskurs Violine (Conservatory of Tilburg)
Fünf bis zehn wichtige Engagements
2022 Tristan und Isolde, Santa Fe Opera
2022 Neuproduktion: I have missed you forever am Opera Forward Festival, Dutch National Opera
2020 Neuproduktion: Faust, Dutch National Opera
2020 Kurzfilm: An die Ferne, Opera Zuid & Operafront
2020 Neuproduktion: Through Movement, Carnegie Hall
2019 Neuproduktion: Vrouwenstemmen, Operafront
2019 Parsifal, Bochumer Symphoniker
Prägende Zusammenarbeit mit folgenden Künstler:innen
Lotte de Beer, Pierre Audi, Krzysztof Warlikowski, Manoj Kamps, Zack Winokur, Hendrik Walther
Debüt an der Volksoper Wien
Regie The Gospel According to the Other Mary (Saison 2023/24)
Bedeutende Preise & Ehrungen
Auf der NRC-Liste der Talente, die die Zukunft ihres Fachs im nächsten Jahrzehnt, 2020, gestalten werden
Wagner Stipendium 2021
Website
* Verwendung der Fotografie (© Milagro Elstak) nur für Zwecke der aktuellen Berichterstattung über die Volksoper Wien